
Protestierende Freunde der Jugendverkehrsschule Moabit begrüßten am 11. Juni 15 die eintreffenden Bezirksverordneten am Rathauseingang. Die meisten Ausschussmitglieder kamen allerdings durch den anderen Eingang, vom Parkplatz her.
Einführung
Am 2. Juni 2015 hat das Bezirksamt Mitte (BA) eine Vorlage für das geplante Aus der Jugendverkehrsschule Moabit, Bremer Str. 10, beschlossen. Das Aus soll die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) demnächst durch ihre Beschlussfassung rechtskräftig machen.
Wesentliche Voraussetzung für das Bestreben des BA, die Jugendverkehrsschule (JVS) Moabit zu schließen, ist das „Infrastrukturkonzept für die Mobilitätserziehung im Bezirk Mitte“. Ein solches Konzept hatte die BVV gefordert, damit sie beurteilen kann, wieviele Jugendverkehrsschulen für die Verkehrssicherheitserziehung der Grundschulkinder im Bezirk Mitte nötig sind. Am 11. Juni stand „Information zum Beschluss des BA zur Aufgabe der JVS Bremer Str. 10 und Diskussion zum Infrastrukturkonzept für die Mobilitätserziehung im Bezirk Mitte“ auf der Tagesordnung des Schulausschusses.
Bericht
Der Schulausschluss legte zunächst fest, dass für dieses Thema insgesamt 45 Minuten zur Verfügung stehen sollten. Herr Golodni (CDU) beantragte, dass als Gast der Verkehrserziehungsobmann Herr Felsch gehört werden soll, Frau Schrader (LINKE) beantragte, dass weitere Gäste gehört werden sollten. Sie stellte auch klar, dass eine Behandlung im Juni-Ausschuss kein Vorgriff auf die normale Beratung nach Einbringung in die BVV sei. Herr Gün (SPD) beantragte, dass Gäste maximal 3 Minuten reden dürften. Das Beantragte wurde beschlossen.
Schulstadträtin Smentek legte eingangs Wert auf die Feststellung, dass der BA-Beschluss nicht die Zukunft der JVS Berolinastraße betreffe. ( Anm. BN-M: Die JVS Berolinastr. ist seit 2013 geschlossen, mit der Begründung, sie werde für Umbauarbeiten der Charlotte-Pfeffer-Schule gebraucht. Auch im Juni 2015 sind dort keine Umbauarbeiten im Gang. Im „Infrastrukturkonzept…“ wird eine künftige Revitalisierung der JVS Berolinastraße vage in Aussicht gestellt. Distanzierte sich Frau Smentek im Schulausschuss von ihren vagen Aussichten im „Konzept“ ?)
Im Kern, so Stadträtin Smentek, sei die Frage des Bedarfs kontrovers – wie viele JVSn braucht Mitte für eine angemessene Verkehrserziehung?
Und: das BA wolle nicht über den gesetzlichen Auftrag hinausgehen.
Dieser gesetzliche Auftrag sei in Berlin vage formuliert. (Leider wahr! Anm. BN-M).
Frau Smetek meinte, dass auch von der Senatsebene die Mobilitätserziehung unterstützt werden müsse, Unterstützung (vor allem finanzielle Art) vom Bildungs- oder Stadtentwicklungs- und Verkehrssenat zeichne sich aber nicht ab.
Frau Smentek hat Anregungen von anderen Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf,
( n i c h t aus der Bürgerbeteiligung!) aufgenommen, und die Möglichkeiten der „Mobilen Verkehrserziehung“ wohlwollend geprüft. Damit ist ein LKW gemeint, der mit Fahrrädern, Helmen, Verkehrszeichen, Absperrhütchen usw. bestückt ist und zu den Schulen fährt. Dort sollen auf den Schulhöfen dann die Fahrradübungen stattfinden. Finanzieren will Frau Smentek den LKW aus der „allgemeinen Rücklage für Lehrmittel“ – haushaltsneutral. Oder hat sie sich missverständlich ausgedrückt? Wer bezahlt den LKW-Fahrer?
E i ne Jugendverkehrsschule mit verbessertem Angebot durch einen gemeinnützigen Träger – die in der Gottschedstraße – plus Schulhofüben mit Unterstützung der „Mobilen Verkehrserziehung“ – plus Üben auf geeigneten Straßen in der Schulumgebung – auf jeden Fall aber ohne die JVS Bremer Straße in Moabit – das ist das „Infrastrukturkonzept für Mobilitätserziehung im Bezirk Mitte“, wenn es die BVV so absegnen würde.
Zu dem Konzept passt aber nicht, dass von den 33 von Frau Smentek angefragten Grundschulen in Mitte nur ganze z w e i die Frage „Ist der Schulhof grundsätzlich geeignet?“ mit „Ja“ geantwortet haben. Insgesamt war der Rücklauf auf die Fragen der Schulstadträtin mit 12 Antworten mäßig. Herr Freitag, Piraten, wollte gern Kenntnis vom Anschreiben des Schulamtes erhalten; das sagte Frau Smentek zu.
Herr Sack (SPD) trug die Position seiner Fraktion vor: Sie unterstützt das Konzept der Schulstadträtin, begrüßt das „Potenzial Berolinastraße“ und die vorgesehene Nachnutzung der JVS Bremer Straße in Moabit.
Piraten und LINKE lehnen die Schließung der JVS Bremer Straße ab, die LINKEN bestehen auf drei schul- und wohnnahen Jugendverkehrsschulen in Mitte. B90/Grüne und CDU positionierten sich im Ausschuss nicht.
Herr Felsch, Grundschullehrer und Koordinator für die Mobilitätserziehung in Mitte, bedauerte, dass in den vergangenen drei Jahren keine Beteiligung der betroffenen Schulen stattgefunden habe: Erst wurde die JVS Berolinastraße geschlossen und dann 2013 den Schulen mitgeteilt, dass auch die JVS Bremer Straße wegfallen solle. Die JVS Gottschedstraße ist wesentlich kleiner (das Gelände und der Schulungsraum) als die Bremer Straße. Die Saison für Übungen reicht von April bis Mitte November; wegen der Ferien stehen maximal 17 Wochen pro Schuljahr, d.h. 306 Unterrichtseinheiten à 1,5 Stunden in der Gottschedstr. zur Verfügung.
Eine Bedarfsberechnung dürfe nicht von einer Minimalnutzung ausgehen. Vier bis fünf Übungseinheiten sind für Kinder heute mindestens nötig, also 480, besser 600 Übungeinheiten. E i n e Jugendverkehrssschule für ganz Mitte reiche nicht. In den Zahlen von Frau Smentek seien auch nicht die privaten Grundschulen enthalten, die ebenfalls die JVSn nutzen. Reaktivierung der Berolinastraße hält Herr Felsch für unrealistisch, weil die SchülerInnen der Charlotte-Pfeffer-Schule das Gelände als Pausenhof nutzen.
Frau Smentek meint, wegen der Kapazitätsberechnungen möchte sie nochmal mit Herrn Felsch sprechen. Wie erkläre er sich aber, dass so wenige Grundschulen geantwortet haben? Anscheinend finden sie das Üben auf der Straße gut, folgerte Frau Smentek.
Zweite Gastrednerin ist Frau Pradel von der „Arbeitsgruppe Jugendverkehrs-schule“, die von der Stadtteilvertretung Turmstraße im Sommer 2014 gegründet wurde. Die Arbeitsgruppe hat im März 2015 eine umfangreiche Stellungnahme zum „Entwurf des Infrastrukturkonzepts Mobilitätserziehung“ der Schulstadträtin und den BVV-Fraktionen überreicht. Diese konstruktive Kritik gilt immer noch. Die neue Idee der „Mobilen Verkehrsserziehung“ hält sie als ergänzendes Angebot für interessant, nicht als Alternative für die JVS Moabit; sie weist darauf hin, dass nur z w e i der Grundschulen ihre Schulhöfe für geeignet halten.
Frau Pradel nennt auch einen neuen Gesichtspunkt: die schulische Inklusion. Übungsgelände, Schulungsraum und Toiletten sind in der JVS Bremer Straße barrierefrei erreichbar. In der JVS Gottschedstraße nicht. Das ist ein zusätzlicher Punkt, der auch für den Weiterbetrieb der JVS Bremer Straße spricht.
Dritte Gastrednerin ist B. Nake-Mann. Die Reaktivierung der Berolinastraße, im „Infrastrukturkonzept …“ und jetzt im Ausschuss von Frau Smentek in Aussicht gestellt, schätzt sie als irreführenden Lockvogel ein. Denn bei Beginn der Auseinandersetzungen um die JVS, im Sommer 2014, hat Frau Smentek darauf hingewiesen, dass auch nach dem Umbau der Charlotte-Pfeffer-Schule (mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“) das Gelände der ehemaligen Jugendverkehrsschule als Pausenhof genutzt werden müsse. Besondere Behinderungen (Autismus z.B.) erforderten Abstand und erlaubten keine Beeinträchtigung durch fremde, radfahrende Schulklassen, hatte Frau Smetek damals betont.
Für die bedauerlich geringe Resonanz der Schulen auf Frageaktionen des Schulamtes hat BN-M folgende Erklärung: die Schulen sind frustriert worden und entmutigt worden – und haben darüber hinaus ja übergenug zu tun. Wir (AG JVS) haben im Sommer 2014 erfahren: den Schulen war im Herbst 2013 lapidar mitgeteilt worden, dass die JVS Bremer Straße zum Jahresende 2014 geschlossen werde. Protestschreiben der Grundschulen ans Schulamt und an den Senat wurden abgespeist.
Weitere Beispiele für Entmutigungen sind uns bekannt.
Unsere eigene Umfrage an zehn Schulen hatte übrigens, trotz beginnender Sommerferien 2014, eine Rücklaufquote von 50%. Alle schrieben: Wir brauchen die Jugendverkehrsschule Moabit!
Angesichts der Kürze der Redezeit trägt BN-M ihre vorbereiteten sechs Kritikpunkte am BA-Beschluss vom 2.6.15 nicht vor. Sie verteilt die Seite an Ausschuss und Stadträtin. Hier der Text.
Damit war die vorgesehene Zeit vorbei (der Ausschuss wollte bis 20 Uhr fertig sein) und die weiteren Wortmeldungen von Gästen kamen nicht dran. Schade, denn es wären noch ganz neue Gesichtspunkte zur Sprache gekommen. Ende des Berichts.
Verdächtiges Verfahren
Normalerweise wird eine Beschlussvorlage des BA in die monatlich tagende BVV eingebracht, dort eventuell „andiskutiert“ und dann von der BVV an die zuständigen Ausschüsse zur Fachberatung überwiesen. Die Ausschüsse beraten die Angelegenheit und geben das Anliegen mit einer „Beschlussempfehlung“ an die BVV zurück. Da auch die Ausschüsse monatlich tagen, ist eine Beschlussfassung über eine Vorlage des BA normalerweise frühestens einen Monat nach Erst-Einbringung in die BVV möglich.
Was hat es zu bedeuten, dass das „Infrastrukturkonzept für die Mobilitätserziehung …, Stand 22.5.15“ bereits vor Einbringen in die BVV von Stadträtin Smentek im Schulausschuss vorgestellt wurde?
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Beschluss-Vorlage des BA in die Juni-BVV am 18.6.15 eingebracht werden soll und dass dort ohne Beteiligung der Fachausschüsse abgestimmt werden soll. „Wir haben ja im Schulaussschuss schon darüber gesprochen“. Doch nicht nur der Schulausschuss müsste sich mit dem „Infrastruktur-Konzept“ und der sozialräumlichen Bedeutung der JVS Bremer Straße vertieft befassen, nach der Einführung im Ausschuss am 11.6.15. Auch der Stadtentwicklungsausschuss ist betroffen, der Ausschuss für Soziale Stadt, QM, Verkehr und Grünflächen ebenfalls. Und der Ausschuss für Bildung, Kultur und Umweltschutz muss sich unter dem Bildungsaspekt wie unter dem Aspekt der „Umweltgerechtigkeit“ mit der Bedeutung der JVS Bremer Straße – als Bildungseinrichtung und als grüne Oase im dicht bebauten Moabit – mit der Beschlussvorlage des BA vom 2.6.15 befassen.
Es bleibt zu hoffen, dass einsichtige BezirkspolitikerInnen darauf bestehen, dass die vielfältige und langfristige Bedeutung der JVS Bremer Straße für Moabit und Mitte in den Ausschüssen sachgemäß behandelt werden kann.
Am Rathauseingang steht die Skulptur „Der Ratgeber“ , am 11.6.15 mit dem Hinweis: Vorfahrt für Kinder! und: Stopp! Keine Schließung der Jugendverkehrsschule Moabit!
Brigitte Nake-Mann
14. Juni 2015