Der Betrieb der Jugendverkehrsschule Moabit, Bremer Str. 10, macht jetzt Winterpause (s. Foto). Ihre Widersacher aber nicht; diese überlegen vielmehr, wie der Beschluss der BVV vom März 2016, die JVS Moabit zu erhalten und zu verbessern“ (Drs.2635/IV) , umgangen werden könnte.
Da ist es politisch interessant, noch einmal nachzulesen, was die Grün-Rote-Zählgemeinschaft in Berlin-Mitte an Absichten für ihre kommunalpolitische Arbeit (2016 bis 2021) am 26. Oktober 2016 beschlossen hat.
Wörtlich kommt die JVS Moabit im Zählgemeinschaftsvertrag (komplett hier) nicht vor, aber ihre Bedeutung wird an mehreren Stellen angesprochen, beispielsweise:
1.
B90/Grüne und SPD wollen die Rahmenbedingungen für den Radverkehr verbessern und den Radverkehr sicherer machen (Punkt 5.5 der Grün-Roten-Vereinbarung).
„Die unterzeichnenden Parteien wollen ein neues Verkehrskonzept für Mitte, in dem alle Verkehrsträger zu berücksichtigen sind. Ein Schwerpunkt wird auf die deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Radverkehr im Bezirk Mitte gelegt. Dazu gehören neben der Ausweisung neuer Radstraßen und Radbahnen auch eine stärkere Berücksichtigung der Radinfrastruktur bei der bezirklichen Investitionsplanung sowie alle Maßnahmen, die den Radverkehr sicherer und damit für alle Bevölkerungsschichten attraktiver machen … .“ (Hervorhebung durch BN-M, auch im Folgenden).
Wenn Grün-Rot die Rahmenbedingungen für den Radverkehr verbessern wollen, dann müssen sie auch das Übungs- und Bildungsgelände für regelgerechtes Radfahren von Jung und Alt, die Jugendverkehrsschule Bremer Straße in Moabit, erhalten und qualifizieren. Grün-Rot wollen ja „alle Maßnahmen, die den Radverkehr sicherer und damit für alle Bevölkerungsschichten attraktiver machen …“ ergreifen. Dafür muss die JVS Bremer Straße ganztätig geöffnet sein und von einem kompetenten Betreiber betreut werden. Vormittags können Grundschulkinder von ihren LehrerInnen auf die Fahrradprüfung vorbereitet werden. Ergänzend zum JVS-Schonraum kommt anschließend das begleitete Üben auf der Straße. Nachmittags üben in der Jugendverkehrsschule KITA-Kinder unter Anleitung der Verkehrssicherheitsberater der Polizei oder Jugendliche lernen, ihre Kräfte realistische einzuschätzen und darüber hinaus regelkonformes Verhalten im Straßenverkehr. Am Wochenende oder abends können unsichere Erwachsene dort mit Anleitung üben oder sie lernen überhaupt erst das Fahrradfahren.
2.
Grün-Rot beklagen in ihrem Zählgemeinschaftsvertrag die hohe Zahl von Jugendlichen in Mitte, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Als Gegenmittel soll die Zusammenarbeit aller Bildungsträger – von Kitas und Schulen über außerschulische Lernorte bis hin zu Bibliotheken und Volkshochschulen – im Rahmen von Bildungsverbünden weiter ausgebaut werden. (Punkt 5.3, „Bildung“ im Zählgemeinschaftsvertrag).
„Die hohe Zahl von Jugendlichen, die die Schulen in Mitte ohne Schulabschluss verlassen, erfüllt die unterzeichnenden Parteien mit großer Sorge. Das neue Bezirksamt wird daher seine … Möglichkeiten bestmöglich nutzen, damit weniger Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. So soll die Zusammenarbeit aller Bildungsträger – von Kitas und Schulen über außerschulische Lernorte bis hin zu Bibliotheken und Volkshochschulen – im Rahmen von Bildungsverbünden weiter ausgebaut werden.“
Die JVS ist ein „außerschulischer Lernort“ mit großer Bildungs- und Integrationskraft. Auch deshalb wurden Jugendverkehrsschulen 2016 als außerschulische Lernorte ins Berliner Schulgesetz aufgenommen. (Im Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag wird die Bedeutung der JVSn dreimal ausführlich behandelt).
Die zugesagte „bestmögliche Nutzung aller Möglichkeiten“ durch das Bezirksamt Mitte für die Bildung Jugendlicher schließt das Bildungs- und Lern-Potenzial der Jugendverkehrsschulen natürlich ein. – Wohnungsnähe und Öffnungszeiten auch am Nachmittag, am Wochenende und in den Ferien ermöglichen Schulung,Training und Erfolgserlebnisse auch für schulfrustrierte Kinder und Jugendliche.
3.
Punkt 5.2 der Zählgemeinschaftsvereinbarung verspricht eine Soziale und partizipative Stadtentwicklung – auch bei der Gestaltung von Freiräumen.
„Bei der Gestaltung von Quartieren, Neubauten und Freiräumen setzen die unterzeichnenden Parteien auf partizipative Verfahren, offene Wettbewerbe und Ausschreibungen. Bei der Planung von neuem Wohnraum müssen a l l e Elemente der öffentlichen Infrastruktur wie Kitas, Schulen, Jugend- und Familienzentren, Bibliotheken und Kultureinrichtungen, Grünflächen und Parks berücksichtigt werden.“
Außerdem:
„ Grünflächen und Parks sind wichtige Naherholungsgebiete und müssen für die vielfältigen Nutzungsinteressen der Bürger*innen offen stehen. … .“
Das heißt doch wohl: „Soziale Stadtentwicklung“ wird mit Maßnahmen verwirklicht, die die enormen Defizite an Umweltgerechtigkeit in Moabit-West (hier liegt die JVS Bremer Straße) wenigstens etwas ausgleichen würden. Der Umweltatlas Berlin zeigt die Defizite hier als hohe Mehrfachbelastungen durch Grünmangel, Luftverschmutzung und bioklimatische Belastung (Gesundheitsgefährdungen bei sommerlichem Hitzestress).
Die ökologischen Funktionen des grünen JVS-Geländes mit der angrenzenden Grünanlage sind im Planungsraum „Moabit-West“ unverzichtbar.
Der Städtebaulicher Richtwert für die Versorgung mit erholungswirksamen wohnnahen Grünflächen verlangt 6 qm pro Einwohner, mindestens 0,5 ha groß, max. 500 m Distanz zur Wohnung. Erst wenn diese Mindest-Grünversorgung in Moabit-West erfüllt wäre, könnte weiter gebaut werden.
Das neue Bezirksamt muss gemäß der Erkenntnis und des Beschlusses (Mai 2014) des Vorgängerbezirksamtes handeln: „Keine Wohnbaupotenziale in der Bezirksregion Moabit-West“ !
4.
Im Punkt 5.7 der Zählgemeinschaftsvereinbarung „Umwelt- und Klimaschutz im Bezirk“ haben Grün-Rot u.a. festgehalten:
„Die unterzeichnenden Parteien sind sich darin einig, dass der Bezirk einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten kann und muss. ….
Die Grünflächen und Parks sollen als wichtige Naherholungsräume des Bezirks geschützt und naturnah gepflegt werden.“
Das JVS-Gelände Bremer Straße 10 ist zweiseitig von einer über 1000 qm großen öffentlichen Grünanlage eingerahmt.
Diese Grünanlage ist Teil des übergeordneten Grünzugs im Flächennutzungsplan Berlin, der die angestrebte gesamtstädtische Grün-Vernetzung – zwischen dem Stadtgarten nördlich der Siemensstraße durch das dichtbebaute Moabit bis zum Kleinen Tiergarten/Ottopark im Süden – herstellt.Trotz einzelner Bauelemente liegt hier eine wichtige sozial-ökologische Grünverbindung vor, wie sie der Senat seit längerem – und auch im neuen Landschaftsprogramm 2015 – besonders in den dicht bebauten Innenstadtbereichen anstrebt.
Eine Bebauung des JVS-Geländes würde – bisherigen Konzepten zufolge – diese öffentliche Grünanlage direkt neben der JVS in das Bauland einbeziehen, sie also vernichten. Das würde gegen die Vereinbarung von GRÜN-ROT in Mitte verstoßen: „Grünflächen und Parks sollen als wichtige Naherholungsräume des Bezirks geschützt und naturnah gepflegt werden.“
Fazit:
BVV-Beschlüsse (März und April 2016) und die Grün-Rote-Zählgemeinschaftsvereinbarung für die Jahre 2016 bis 2021 liefern zwingende sachliche Gründe genug, das JVS-Gelände Bremer Straße zu erhalten und zu verbessern. Sein Potenzial muss für Verkehrssicherheit, umfassende Bildung, soziale Integration sowie Klima- und Umweltgerechtigkeit genutzt werden.
Trotzdem findet eine Landeswohnbaugesellschaft offene Ohren des Bezirksbaustadtrats – obwohl er auch für Gesundheit und Soziales zuständig ist – für ihre Bauvorhaben an der Bremer Straße. Diese Bauvorhaben würden die JVS Bremer Straße bedrängen, womöglich sogar platt machen.
Deshalb sollten das übrige Bezirksamt und die BVV auf die Lobby für Bildung, soziale Stadt, Grün und Verkehrsssicherheit durch engagierte Eltern, Lehrkräfte, Bürgerinnen und Fachleute für Verkehrserziehung hören und die JVS Bremer Straße schützen und verbessern.
Oder wollen Grün-Rot ihre eigenen Abmachungen und Versprechen vom Herbst 2016 schon Anfang 2017 nicht mehr ernst nehmen?
12.2.2017
B. Nake-Mann
Die Bürgerinitiative SilberahornPLUS dankt ihrem Korrespondierenden Mitglied für die kritische Durchsicht der Grün-Roten-Zählgemeinschaftsvereinbarung und konstruktive Formulierungen.